In jedem Newsletter hat eine Mülheimer Selbsthilfegruppe die Möglichkeit ihre Gruppe über ein kleines Interview vorzustellen. Selbsthilfe-Interessierte, aber auch -Aktive erfahren, wie die Gruppe arbeitet und was sie antreibt. Auf diese Weise kann Selbsthilfe in ihrer Vielfalt abgebildet werden und es können neue Mitstreiter*innen für die Gruppe gewonnen werden.
Sie sind in einer Mülheimer Selbsthilfegruppe aktiv und möchten gerne ihre Gruppe in einem der nächsten Newsletter vorstellen? - dann melden Sie sich gerne beim Selbsthilfe-Büro!
Viel Spaß bei der Lektüre!
...Trudie Czybulka
Deutsche ILCO e. V., Gruppe Mülheim an der Ruhr und Gruppe Bottrop
Regionalsprecherin der Region Ruhr-Emscher-Lippe
1. Wie sind Sie auf die Möglichkeiten und Methoden der Selbsthilfe aufmerksam geworden?
„2014 stand für mich fest: ‚Ich bekomme ein Stoma‘. Mein Alltag ließ sich nicht mehr gut bewältigen, deshalb traf ich diese Entscheidung dann selbst. Die Ärztin im Krankenhaus fragte, ob ich mit anderen Betroffenen reden möchte. Ich habe direkt ‚nein‘ gesagt. Die Vorstellung, mit anderen Stomapatienten in einem Kreis zu sitzen und sich gegenseitig etwas vorzujammern, gefiel mir nicht.
Nach der Entlassung habe ich es mir anders überlegt und die Gruppe in Bottrop mal besucht. Ich dachte, da gehe ich einmal hin und dann nie wieder… Ich fand es aber gut da und seitdem engagiere ich mich.
Meiner Stomatherapeutin erzählte ich ganz im Anfang davon. Sie sagte: ‚Wissen Sie, wo ich Sie in einem Jahr sehe? Sie leiten diese Gruppe und übernehmen auch noch Aufgaben darüber hinaus!‘
Da hatte sie recht.“
2. Was bedeutet Selbsthilfe für Sie? / Was hat sich für Sie verändert seit Sie eine Selbsthilfegruppe besuchen?
„Vor dem ersten Treffen dachte ich, ich schaue mal, ob ich Unterstützung bekomme. Tatsächlich waren und sind die Gespräche mit Gleichgesinnten eine Hilfe.
Ich kam beruflich aus einer 60 – Stunden – Woche und hatte plötzlich null Stunden und brauchte Hilfe. Ich musste mich daran gewöhnen, darum zu bitten. Zum Beispiel meinen Mann fragen: ‚Trägst du mir die Tasche aus dem Auto ins Haus, holst du den Wäschekorb hoch, beziehst du die Betten...‘. In der Gruppe habe ich gelernt: Es ist nicht schlimm, etwas nicht zu können.
Anderes Beispiel: Als Stomaträgerin habe ich einen Schlüssel für öffentliche Behinderten-WCs. Da man mir meine Behinderung nicht ansieht, muss ich mir manchmal dumme Bemerkungen anhören, was ich da zu suchen hätte. Das geht anderen in der Gruppe natürlich genau so, und wir können darüber sprechen.
Neben meiner Familie hilft mir die Gruppe einfach, meine Situation zu akzeptieren und das Beste daraus zu machen.“
3. Wie arbeitet Ihre Selbsthilfegruppe?
„Da ich die Gruppe gerade erst übernommen habe, erzähle ich von meinen Erfahrungen aus anderen Gruppen und wie ich mir das in Mülheim vorstelle.
Zunächst einmal: Die Gruppe hätte sich beinahe aufgelöst, weil es keinen Ansprechpartner gab. Dann kam durch Corona eine längere Zeit ohne Treffen.
Die Gruppe startet also erst wieder neu und wird sich zunächst einmal pro Quartal treffen. Öfter schaffe ich es nicht. Wenn jemand in der Organisation mit unterstützt, wird es wieder monatliche Treffen geben. Aktuell gehören ca. 30 Personen zur Gruppe, vereinzelt kommen auch Ehepaare. Wir sind offen für Angehörige, auch für solche, die allein kommen.
Mir ist wichtig, dass es bei jedem Treffen einen Austausch gibt über die zurückliegende Zeit. Wie ist es den Teilnehmer*innen ergangen? Alle sollen zu Wort kommen. Da die langjährigen Mitglieder meist wenig Veränderung erleben, haben die Neuen dann mehr Raum, von sich zu berichten.
Was ich auf keinen Fall möchte: Reine ‚Kaffeeklatsch – Runden‘. Das ist für mich keine Selbsthilfe. Die Leute können sich vor Beginn des Treffens austauschen, aber dann habe ich ein Glöckchen und läute damit den thematischen Teil ein. Ich sorge dafür, dass nicht alle gleichzeitig reden. Jedem soll zugehört werden.
Methodisch arbeite ich gern mit dem Kartenspiel ‚Wie geht’s – wie steht’s?‘, das speziell für die Selbsthilfe entwickelt wurde. Die Fragen auf den Karten erleichtern den Einstieg ins Gespräch.
So entsteht ein Gemeinschaftsgefühl untereinander.
Es sollen auch regelmäßig Referent*innen eingeladen werden. Den Auftakt macht Dr. Michael Jakob, Chefarzt der Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie am St. Marien-Hospital. Er unterstützt uns und hat mich auch ermutigt, die Gruppe ‚wiederzubeleben‘.
Geplant ist auch ein Abend zum Thema Pflegegrade.
Tagesausflüge mit allen Gruppen der Region sollen wieder angeboten werden, wenn Corona abgeflaut ist. Z. B. ein Schiffsausflug oder die Besichtigung einer Firma für Stoma-Artikel. Es wird alles so organisiert, dass jeder mithalten kann, auch wenn er oder sie nicht mehr so gut auf den Beinen ist.
Manche Gruppenmitglieder machen auch außerhalb der Gruppentreffen mal was zusammen.
Außerdem haben wir eine WhatsApp-Gruppe, um den Kontakt zu halten. Wer kein WhatsApp hat, wird angerufen.
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Die Gruppe „Deutsche ILCO e. V. Mülheim“ trifft sich an jedem ersten Mittwoch im Quartal in der Zeit von 17:00 – 19:00 Uhr im Marienhospital in Mülheim.
Es gilt aktuell die 2 G + - Regel.
...Al-Anon-Gruppe für Angehörige und Freunde von Alkoholikern
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Hier: Antworten anderer Teilnehmer*innen
1. Wie sind Sie auf die Möglichkeiten und Methoden der Selbsthilfe aufmerksam geworden?
TN 1: Durch das Einsehen vor vielen Jahren, dass es so mit mir nicht weitergehen kann und ich als erwachsene Tochter eines Alkoholikers Hilfe benötige. Psychiater und Psychologen mit denen ich Kontakt hatte, waren sich häufig nicht der Problematik bewusst. Und da bin ich in einer Al-Anon Gruppe gelandet und wurde verstanden, da alle ähnliches erlebt hatten.
TN 2: Als ich merkte, dass ich mit den Problemen in der Familie, im Zusammenhang mit der Alkoholkrankheit, alleine nicht zurechtkam, habe ich mich an verschiedene Beratungsstellen gewendet, u.a. Diakonie/Ambulatorium. Dort bekam ich auch den Hinweis auf die Al-Anon Gruppe. Über das Internet fand ich dann den persönlichen Kontakt zu der Mülheimer Gruppe.
TN 3: Mein Mann hatte zuerst zu den AA gefunden, dadurch lernte ich Al-Anon kennen.
2. Was bedeutet Selbsthilfe für Sie/ Was hat sich für Sie verändert seit Sie eine Selbsthilfegruppe besuchen?
TN 1: Ich bin mir nicht sicher, ob ich überlebt hätte. Ich habe Werkzeuge bekommen, mit denen ich mein Leben wieder meistern konnte. Diese Werkzeuge sind die 12 Schritte (übernommen von den Anonymen Alkoholikern), die Slogans, die Literatur u. v. m.
TN 2: Der Austausch in der Gruppe bedeutet mir viel, weil so verschiedene Perspektiven auf die Alkohol-Problematik zur Sprache kommen: aus der Perspektive "Ehepartner" oder aus der Perspektive "Kind" oder "Eltern". Man kreist nicht nur um die eigene Problematik - die anderen Perspektiven empfinde ich als hilfreichen Spiegel. Wichtig ist für mich auch immer wieder die Einsicht, dass es nicht in unserer Macht steht, unsere kranken Familienangehörigen von der Alkoholkrankheit zu befreien. Das hilft auch, Schuldgefühle abzulegen.
TN 3: Früher hatte ich immer gemeint, alle Probleme selber lösen zu müssen. Erst als ich gar nicht mehr konnte, hab ich um Hilfe bitten können. Es tut einfach gut, sich mit Menschen auszutauschen, die das Problem aus eigener Erfahrung kennen, da muss ich nicht viel erklären. Seitdem versuche ich mein eigenes Leben zu ändern und nicht mehr das der Anderen!
3. Wie arbeitet Ihre Selbsthilfegruppe?
TN 1: Der regelmäßige Besuch verhilft zu einer veränderten Sicht- und Denkweise über den Alkoholismus. Dazu gehört die Einsicht, dass die Angehörigen das Trinken des Alkoholikers nicht stoppen können, egal wie sehr sie sich anstrengen, seinen Alkoholkonsum zu kontrollieren. Sie lernen, dass sie ihr eigenes, vernachlässigtes Leben in die Hand nehmen können, statt in das des Alkoholikers hinein zu regieren. Die Selbsthilfegruppen vermitteln das Wissen, dass der Alkoholiker die Konsequenzen seines Handelns selbst tragen muss, ohne dass die Angehörigen ihm weiter die Konsequenzen seines Suchtverhaltens abnehmen. Der regemäßige Besuch der Gruppe stärkt die Selbstverantwortung der Angehörigen und schafft ein Gefühl für gesunde Grenzen. Durch die veränderte Einstellung des Angehörigen kann dieser zu einer gesunden Lebenseinstellung finden, und auch dem Alkoholiker kann hierdurch in manchen Fällen die Bereitschaft wachsen, mit dem Trinken aufzuhören.
TN 2: Ein Meeting hat die 2 Komponenten „Gedankenaustausch zu Al-Anon- Grundsätzen" und „Persönliche Befindlichkeit ". Nach dem Verlesen des Programms und des Tagesspruches hat jeder die Möglichkeit, seine eigene momentane Befindlichkeit vorzutragen. Oft entwickeln sich daraus Bezüge zu den Schritten oder Traditionen oder zu dem Tagesspruch. Es bleibt also nicht nur bei einer entlastenden Aussprache der aktuellen Sorgen, sondern man kommt durch das Programm auch in eine Reflexion. Es entstehen Erkenntnisse oder Einsichten oder man fühlt sich einfach getröstet.
TN 3: Unsere SHG arbeitet nach den 12 Schritten der AA, unser Programm ist in 4 Stufen aufgeteilt: 1. Bewusstwerden, 2. Annehmen, 3. Handeln, 4. Weitergeben
Erst wenn mir die Krankheit Alkoholismus mit dem gesamten "Dilemma" bewusst ist und ich Tatsachen akzeptieren kann, kann ich zum Handeln übergehen. Dazu ist es hilfreich, sich erstmal alles Aufgestaute in einem geschützten Raum von der Seele zu reden. Doch es geht nicht darum, immer wieder sich im alten Leid zu drehen, sondern Wege zu finden, wie man trotz aller Sorgen ein zufriedenes Leben führen kann. Es geht vor allem darum, zu Lösungen zu kommen, wobei das Programm ermutigt und Erfahrungen weitergibt. Ich kann meine Probleme von verschiedenen Seiten betrachten, es gibt so viele Wege zu Lösungen. Das wichtigste ist, ich werde zu NICHTS gezwungen und kann alles in meinem eigenen Tempo ausprobieren...... denn Druck gab es in meinem Leben schon genug.
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Die Al-Anon-Familiengruppe für Angehörige und Freunde von Alkoholikern trifft sich jeden Montag in der Zeit von 16 Uhr und 18 Uhr in der Schulstraße 10a im Ategris-Gebäude.